Fr, 18.10.2024 , 10:10 Uhr

Franziskanerpater analysiert Peter Handke

Das Heilige in Natur und Alltag

Der Österreicher Peter Handke zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Franziskanerpater Willibald Hopfgartner, der ihn persönlich kennt, widmet sich in seinem jüngsten Buch der „eucharistischen Poetik“ in Handkes Werk. Im Interview erzählt der Ordensmann, wie er zu dieser verstärkten Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller kam und welche Bedeutung das „Heilige“ in dessen Schriften einnimmt.

Pater Willibald, wie sind Sie als Franziskaner dazu gekommen, sich so intensiv mit Peter Handke zu befassen?

Noch vor meinem Ordenseintritt habe ich in Innsbruck Germanistik studiert. Es war die Zeit, wo wir neugierig waren auf alles, was von Handke kam. Es war eine völlig neue Stimme der Literatur. Die „Publikumsbeschimpfung“ war ein Ereignis! Von da an blieb Handke stets im Fokus meines Interesses.

Das war doch sehr weit entfernt vom „Heiligen“, dem Sie in Ihrem Buch nachgehen.

Das stimmt. Ich habe mich auch nicht immer leicht getan mit seinen frühen Werken. Bei der Aufführung von „Die Unvernünftigen sterben aus“ bin ich in der Pause rausgegangen. Nach der Germanistik habe ich Theologie studiert und bin Franziskaner geworden. Im Ordensgymnasium in Bozen habe ich Deutsch und Philosophie unterrichtet – und da wurde, was man seit einiger Zeit „Literaturtheologie“ nennt, mein besonderes Anliegen.

Was hat Sie zu Ihrem Buch inspiriert?

In der „Lehre der Sainte-­Victoire“, wo sich Handke am Beispiel des Malers Paul Cézanne mit dem Wesen der Kunst auseinandersetzt, gibt es eine Stelle, wo er vom Tabernakel in seiner Heimatkirche spricht: Die Drehung der Tabernakeltür zeigt das heilige Brot und nimmt es wieder zurück in die Verborgenheit. Es ist ein Bild für das, was das Erzählen leistet: „Verwandlung und Bergung der Dinge in Gefahr“, wie er sagt.

Das war für mich das Schlüssel­erlebnis der Lektüre. Nicht nur, dass hier zum einzigen Mal in der deutschen Literatur – soweit ich sehe – vom Tabernakel die Rede ist, sondern dass Handke von ihm aus das Wesen der Kunst beschreibt. Der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück prägte dazu den Begriff von der „eucharistischen Poetik“ Peter Handkes.

Welche spezifischen Elemente der Wirklichkeit werden von Handke als „heilig“ bezeichnet?

Das Heilige hat zunächst sein Fundament in der religiösen Welt der Kirche und ihrer Feiern. Das kommt sicher aus dem religiösen Erleben in der Kindheit. Die Kindheit ist ja bekanntlich die Zeit, in der man die starken Bilder sammelt, die dann ein Leben lang lebendig bleiben. In seinen Tagebüchern finden sich immer wieder detaillierte Beschreibungen von sakralen Räumen und Erlebnissen bei der Feier von Gottesdiensten. Hier wirkt sicherlich die prägende Erfahrung als Ministrant in ihm weiter. Die religions- und kirchenkritischen Äußerungen seiner frühen Texte sind vergleichsweise Episode geblieben.

Aber sonst, in der Natur oder im Alltag, gibt es da nichts Heiliges? Ist das alles – um es mit dem Gegenbegriff zu sagen – „profan“?

Im Gegenteil: Handke hat ein wunderbares Wort für die Schönheit der Natur. Er nennt sie den „Freudenstoff der Welt“. Einmal sagt er, durchaus selbstkritisch: „Sich nicht freuen können: eine Dummheit (jedenfalls immer wieder die meine).“ Aber für Handke darf die Schönheit nicht im bloßen Genießen enden. Am besten, so sagt er einmal, „man gebraucht das Gewahrwerden der Schönheit zum Stoßgebet“. Freilich, unsere technisch-wissenschaftliche Zivilisation beraubt uns der Wahrnehmung der Schönheit. Ein sarkastisches Wort dazu: „Dein Blick soll dich leiten, nicht dein Gehirn.“

Ist Handke also, wie der Philosoph Martin Heidegger, ein Kritiker der modernen technisch-ökonomischen Lebenswelt?

Das nicht. Aber Handke war tatsächlich eine Zeit lang aufmerksamer Heidegger-Leser. Aber er wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch den Kontrast aufzeigen würde zwischen dem, was uns die unberührte Natur sagen kann, und dem, was die Störung ihrer Sprache durch den Menschen bewirkt, wenn er sie kontaminiert mit seinem Bedürfnis, die Natur in allem auf sich auszurichten. So notiert er einmal: „Wie durch ein Schwimmbad die ganze umliegende Natur wesenlos wird.

Für Peter Handke sind nicht nur Kirchen und Tabernakel heilig.
Willibald Hopfgartner ist Franziskaner­pater in Lienz in Tirol. Viele Jahre war er als Lehrer in Bozen tätig.

Sie haben den Alltag angesprochen. Gibt es da Dinge, die Handke mit dem Heiligen in Beziehung bringt?

Am verblüffendsten ist wohl die Beziehung zwischen Müdigkeit und Heiligkeit. In seinem „Versuch über die Müdigkeit“ erinnert er sich an die Zimmerleute beim Hausbau. In den Arbeitspausen werden sie, wie er sagt, von der Müdigkeit wie in einen großen Frieden eingehüllt. Das hat seinen Grund: „Zu ihrer Müdigkeit gehört, dass bei ihnen gleichsam niemand und nichts ‚herrscht‘ oder auch nur ‚vorherrschend‘ ist.“

Und weiter: „Es war eine heilige Zeit – Episoden des Heiligen.“ Der feinsinnige Beobachter, der Handke ist, hebt auch hervor, wie im kleinen Alltag auch „heilige Dinge“ passieren: „Ich weiß, dass die alltäglichen Handlungen – das Gläserwaschen der Kellnerin, das so achtsame Tragen der zwei Gläser Wasser durch das Kind zur Mutter – ich weiß, dass sie heilig sind, und doch kann ich so wenige dieser Vorgänge fassen.“ Das Heilige kann man nicht begründen, man muss es erzählen.

Welchen Platz nimmt das Soziale in diesem Zusammenhang ein?

Achtung und Ehrfurcht vor dem Anderen spielt eine große Rolle bei Handke. Schon sehr früh hat er sich das Programm gegeben: „Schriftsteller, arbeite mit letzter Kraft die Würde des Menschen hervor.“ Das präzisiert er an anderer Stelle mit einem drastischen Bildwort: „Auf die Oberfläche des Jammertales muss man seine Planken legen, und dann darüber balancieren mit der Prosa.“

Entscheidend ist immer die konkrete Begegnung mit dem anderen: „Das Haus der Kraft, das ist das Gesicht des andern“ – ein Bekenntnis-Wort aus seinem Schauspiel „Über die Dörfer“, das er auch in seine Nobelpreis-Rede übernimmt. Für Handke bildet die „Face-to-­face“-Situation den Kern des sozialen Lebens.

Es ist doch erstaunlich, dass in Handkes Weltbild das Heilige eine so große Rolle spielt.

Es hängt wohl mit einer wesentlichen Herausforderung des Schreibens zusammen. Der Schriftsteller bleibt ja nicht stehen bei dem, was alle sehen und erleben. Er will aufmerksam machen auf Dinge, die unbeachtet, zugedeckt, vergessen wurden – also auf eine Wirklichkeit, die zwar da ist, aber nicht beachtet wird.

Der große Religionswissenschaftler Mircea Eliade hat es sehr schön gesagt: „Das Heilige manifestiert sich immer als eine Realität, die von ganz anderer Art ist als die natürlichen Realitäten.“ „Von ganz anderer Art“ – das heißt nicht, woanders oder kaum erreichbar, heißt also nicht, dass es nicht zur Welt gehört. Es wird nur nicht mehr wahrgenommen.

Für Handke ist die Welt von der Wirklichkeit des Heiligen geprägt: „Heilige Welt!“, ruft er einmal aus – und fährt dann selbstkritisch fort: „So sehe, so erlebe ich die Erde, wenn ich bei Sinnen, bei Vernunft (ja) und Verstand bin. Aber leider bin ich allzu selten bei Sinnen.“ Aber dieses Seltene – das gar nicht so selten ist! – wollte ich in meinem Buch herausarbeiten.

Interview: Andreas Raffeiner

Buchinformation

Willibald Hopfgartner: Das Heilige im Werk Peter Handkes. Eine Annäherung,

Wieser Verlag, ISBN: 978-3-99029-644-8, 14,95 Euro

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